KOMMENTAR
Am 8. Dezember, rund um 3 Uhr in der Nacht, kam die Nachricht: Der Diktator Baschar al-Assad wurde offiziell gestürzt. Weltweit und auch in Deutschland verfolgten viele Syrer die Ereignisse live. Es war ein Moment, der für mich und viele meiner Landesleute in Hamburg ein völlig neues Gefühl auslöste – viele von uns weinten stundenlang vor Freude.
Es waren Tränen des Glücks ob des Sieges. Das Volk hat nun endlich gegen das Regime gewonnen. Seitdem füllten glückliche Syrer die Straßen in mehreren Städten. Auch in Hamburg gab es am Sonntag ein Treffen, um den Sturz des Diktators zu feiern. Doch die Feierlichkeiten lösten Panik bei vielen Menschen in Deutschland aus. Es wurden Fragen laut, ob wir Syrer nun Islamisten abfeiern und ob Syrien das nächste Afghanistan wird. In diesem Beitrag möchte ich aufklären und meine Sichtweise dazu teilen.
Hamburg: Deswegen feiern alle Syrer den Sieg
Als ich die erfreulichen Nachrichten hörte, war ich von Glücksgefühlen überwältigt. Meine Tränen flossen vor Freude, und ich konnte meinen Augen kaum trauen: Er ist geflohen. Syrien ist nun frei. Nach all dem Leid, das dieses Regime dem Volk angetan hat, sind wir zum ersten Mal seit rund 50 Jahren frei. Natürlich konnte ich in dieser Nacht nicht schlafen und wartete sehnsüchtig auf die Feierlichkeiten in Hamburg, die von der Polizei genehmigt wurden.
Stolz habe ich Bilder und Eindrücke in den sozialen Netzwerken geteilt. Mein Gedanke: „Wir dürfen jetzt stolz auf uns sein. Wir haben ihn gestürzt.“ Doch meine Aufnahmen kamen nicht bei jedem gut an, und daraufhin bekam ich Fragen wie: „Freust du dich etwa, dass Syrien nun unter die Kontrolle von Islamisten gerät?“ oder „Sind so viele IS-Anhänger in Hamburg?“ Über die unzähligen Hasskommentare auf meinem TikTok-Kanal möchte ich gar nicht sprechen.
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Deswegen gibt es nun Islamisten in Syrien
Die Antwort auf diese Fragen ist nicht einfach. Für viele mag es überraschend sein, aber in Syrien ging es nicht nur um einen Krieg zwischen Rebellen und Assad. Mit dem Beginn des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 startete eine friedliche Revolution mit klaren und einfachen Zielen: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Ihr Ziel war das Ende der Diktatur, der Schutz grundlegender Rechte und ein Leben in Würde für alle.
Ich war ebenfalls dabei und träumte von einem Land ohne den Diktator. Im Jahr 2011 begann ich, Demonstrationen mit einer Gruppe von Aktivisten in Aleppo zu organisieren. Doch Assads Männer schossen auf uns und auf weitere Demonstrationen in verschiedenen Städten Syriens und töteten wahllos Menschen. Hunderttausende Syrer wurden umgebracht, festgenommen oder gefoltert – ohne dass Menschenrechte respektiert wurden. Mehrere Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die friedliche Revolution zu einem bewaffneten Konflikt, und Assad erhielt Unterstützung aus dem Iran, von der Hisbollah und aus Russland. Auf der Revolutionsseite traten ebenfalls Kämpfer auf, darunter auch islamistische Milizen. Doch die Revolution war und ist keinesfalls rein islamistisch geprägt, und Syriens Zukunft nach Assads Sturz muss nicht das Schicksal Afghanistans teilen – wie ich es aktuell oft höre.
Dafür gibt es mehrere Gründe: In Syrien leben nicht nur Muslime, sondern auch viele Kurden, Christen, Alawiten, Schiiten und andere Minderheiten, die eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Landes spielen. Diese Vielfalt ist ein entscheidender Faktor. Zudem bedeutet die Präsenz der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die Gebiete von Assads Kontrolle befreit hat, nicht automatisch, dass sie die nächste Regierung stellen wird. Im Gegenteil – die Zukunft Syriens wird von vielen Akteuren mitgestaltet, nicht von einer einzigen Gruppierung.
Das wissen auch die Kämpfer von HTS und sie haben das Gegenteil behauptet. Das syrische Volk hat eine bittere Lektion gelernt: Niemals darf eine Person oder Partei uneingeschränkte Macht erhalten. Von meinen Landsleuten höre ich aktuell oft: „Nie wieder! Syrien ist für alle Syrer“.
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Werden Syrer nun zurückkehren?
Auf die Frage, warum ich mit anderen Syrern in Deutschland auf der Straße feiere, gibt es eine einfache Antwort: Wir, als überglückliche Menschen und Mitbürger dieses Landes, haben das Recht, an genehmigten Versammlungen teilzunehmen und unsere Freude auszudrücken.
Ich selbst habe Familienmitglieder, Freunde und Kollegen verloren – sie wurden von Assads Leuten getötet. Bevor ich Syrien verließ, wurde ich drei Mal festgenommen und vom Geheimdienst gefoltert. Nun, nachdem ich fast ein Drittel meines Lebens im Exil verbracht und rund 14 Jahre auf diesen Moment gewartet habe, habe ich nach all diesem Leid das Recht, den Sturz Assads gebührend zu feiern und diesen unvergesslichen Moment zu erleben.
Fast jede syrische Familie hat unter Assads Herrschaft gelitten und hat nun endlich einen Grund zu feiern. Die ganze Welt hat einen Grund zu feiern, denn ohne Assad an der Macht wird die Welt ein besserer Ort. Kommt und feiert gerne mit uns, denn schon bald werden einige von uns Deutschland wohl wieder verlassen – wenn die Heimat ruft, werden die meisten Syrer vermutlich in die Heimat zurückkehren, um das Land ohne Assad neu aufzubauen.