Werner „Mucki“ Pinzner (†35) erlangte als berüchtigter Auftragsmörder in den 1980ern traurige Berühmtheit und ging in die Kriminalgeschichte von Hamburg ein. Noch heute sprechen Kiezianer davon, wie seine Taten im Milieu auf St. Pauli die Strukturen veränderten.
Pinzner wurden 13 Morde im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen in der Hamburger Rotlichtszene angelastet. Dabei ging er besonders skrupellos vor. MOIN.DE traf einen der letzten Zeitzeugen.
Hamburg: Kiez-Killer richtet Blutbad an
Pinzners Hauptauftraggeber war Rotlicht-Boss Josef Nusser, alias „Wiener Peter“, der Konkurrenten loswerden wollte. Nach 14 Monaten, in denen der Killer selbst bei den härtesten Jungs auf der Reeperbahn Angst und Schrecken verbreitete, wurde er gefasst und bekannte sich zu mehreren Morden. Der Fall sorgte deutschlandweit für Aufsehen, denn während eines Verhörs im Polizeipräsidium kam es am 29. Juli 1986 zur Katastrophe.
Pinzners Ehefrau Jutta hatte ihrem Mann einen Revolver ins Verhör geschmuggelt. Bei seiner Vernehmung richtete der Kiez-Killer ein Blutbad an. Er erschoss Staatsanwalt Wolfgang Bistry, seine eigene Frau und richtete sich selbst. Ein Skandal wegen der massiven Sicherheitslücken im Umgang mit hochgefährlichen Tätern. Dabei wurde die Rolle der Polizei stark kritisiert.
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MOIN.DE traf einen der letzten Zeitzeugen, der bei dieser schrecklichen Tat dabei war und Pinzner live erlebte. Manfred „Timo“ Schultz (82) war sein Vernehmungsbeamter und damals 44 Jahre alt. Wie blickt er heute auf die Tragödie zurück, und welche Auswirkungen hat sie auf sein ganzes Leben?
Hamburg: „Er war nicht der Intelligenteste“
MOIN.DE: Wie gut können Sie sich noch an die Tat erinnern?
Timo Schultz: Sehr gut. So etwas begleitet einen das ganze Leben. Ich habe versucht, abzuschalten und hatte eine ganze Zeit lang Aversionen gegen Waffen. Aber über diese Tat wird ja immer wieder berichtet. In den Printmedien, dem Fernsehen, den Streaming-Diensten. Besonders in der letzten Zeit, wo viele Dokus über die wilden Jahre auf dem Kiez ausgestrahlt wurden.
Wie kamen Sie damals zu den Mordfällen?
Ich hatte viele Jahre auf St. Pauli bei der Sittenpolizei gearbeitet, kannte mich in der Szene aus. Wegen der Mordserie wurde die circa zehn Leute große Soko FD 855 gegründet. Zu der wurde ich kurzfristig hinzugezogen. Wir haben dann den ganzen Kiez umgekrempelt, sind aber kaum weitergekommen. Doch dann kam der entscheidende Hinweis von einem Bordellbetreiber, bei dem Pinzner als Wirtschafter gearbeitet hatte. Dessen Kumpel war auch von Pinzner umgebracht worden.
Wie haben Sie Pinzner nach seiner Verhaftung erlebt?
Bis zur Tragödie im Polizeihochhaus hatte ich ihn mit meinen Kollegen sieben- oder achtmal vernommen. Er war nicht der Intelligenteste, aber wahnsinnig gerissen. Ein schwieriger Mensch, der dauernd Forderungen gestellt hat. Vor allem, dass seine Frau als Beistand dabei sein durfte, was gar nicht vorgesehen war. Eine Finte, denn sie hatte mit Hilfe der Anwältin später die Tatwaffe in ihrem Schritt hineingeschmuggelt.
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Hamburg: „Schießen Sie los“
Wie erinnern Sie die Tat?
Auf dem Weg vom Untersuchungsgefängnis ins Polizeipräsidium brachte Pinzner dumme Sprüche über die damalige Justizsenatorin. Er hatte eine dicke Lederjacke an, obwohl es ein heißer Sommertag war. Als ich ihn deshalb fragte, meinte er: ‚Sie haben ja keine Ahnung, wie kalt es im Knast ist.’ Mit dieser Jacke war er immer zum Morden gegangen. Im Präsidium angekommen, hatte ein Kollege Pinzners Frühstück geholt. Dann saßen wir alle in dem kleinen Verhör-Zimmer 418: der Staatsanwalt, zwei Vernehmungsbeamte, die Schreibkraft, Pinzners Frau und seine Anwältin. Der Staatsanwalt sagte: ,So, dann schießen Sie mal los.’
Das tat er dann im wahrsten Sinne des Wortes.
Ja, Pinzner saß direkt vor uns. Dazwischen ein Schreibtisch. Plötzlich stand er auf, holte den Revolver hervor und sagte: ,So, meine Herren, das ist eine Geiselnahme. Ihr beiden raus, Ihr drei bleibt hier.’ Mit ,Ihr beiden’ meinte er seine Anwältin und die Schreibkraft. Als der Staatsanwalt aufsprang, um Schlimmstes zu verhindern, schoss er sofort. Kopfschuss. Mein Kollege saß an der Tür, riss sie blitzschnell auf und lief gebückt hinaus. Ich schnell hinterher. Ich dachte nur: Du schaffst es noch um die Ecke.
Hamburg: Todesangst
Und kurz davor. Spürten Sie Todesangst?
Nein, dazu kommt man in so einem Moment nicht. Durch den Überraschungseffekt. Ich guckte in den Lauf und dachte nur, das kann doch nicht wahr sein. Zuerst vermutete ich noch eine Gaspistole. Aber dann erkannte ich, es war ein geladener Revolver. Das spielte sich im Bruchteil von Sekunden ab. Ich fragte mich: Woher hat er eine scharfe Waffe?
Als Sie draußen waren, haben Sie dann die Schüsse gehört, als er seine Frau und sich selbst hinrichtete?
Erst später. Pinzner hatte sich vorher noch drinnen verbarrikadiert, indem er die Schreibtische vor die Tür geschoben hatte. In dieser Zeit holte ich meinen Revolver aus dem Waffenschrank. Mehrere Beamte standen inzwischen bewaffnet vor der Tür. Rettungskräfte trafen ein. Es wurde nicht verhandelt. Es dauerte ungefähr fünf bis sechs Minuten. Dann hörten wir die beiden Schüsse. Zwei Tage später klärte sich alles auf. Pinzner hatte im Untersuchungsgefängnis seinen Abschiedsbrief geschrieben, den er bei sich hatte. Da stand, dass er noch mal richtig hinlangen wolle und ,die Schweine haben mich geflachst’. Es ging auch daraus hervor, dass seine Anwältin und seine Ehefrau eingeweiht waren.
Welcher war Ihr schlimmster Moment in der ganzen Gemenge-Lage?
Als die Sanitäter den Staatsanwalt auf der Krankentrage herausbrachten und mir klar wurde, dass er es nicht schaffen würde.