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Hamburg: Die Wahrheit über das Zuhälterkartell „GMBH“ – Ex-Zivilfahnder „Rotfuchs“ packt aus

Im Interview mit MOIN.DE verrät Zivilfahnder „Rotfuchs“ die ganze Wahrheit über die Anfänge der Zuhälterei und der Kriminalität auf St. Pauli.

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Der Kiez auf St. Pauli galt schon immer als verrucht und gefährlich. Besonders in den Jahren von 1972 bis 1986, als sich die Zuhälterbanden „GMBH“ und „Nutella“ in Hamburg breitmachten. Sie betrieben Bordelle und waren in Straftaten wie Körperverletzung und Drogenhandel verstrickt.

Das endete erst, als der Killer Werner „Mucki“ Pinzner im Auftrag des konkurrierenden Kiez-Paten Peter Nusser, alias „Wiener Peter“, loszog, um Widersacher im Rotlichtmilieu zu erschießen. Ihm wurden fünf Morde angelastet. Als er nach seiner Verhaftung im Polizeipräsidium einen Staatsanwalt, seine eigene Ehefrau und sich selbst hinrichtete, gingen die Verbrechen in die Kriminalgeschichte von Hamburg ein.

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Zudem sorgte die Ausbreitung von AIDS für finanzielle Einbrüche, und die Polizei hatte die Abteilung OK (Organisierte Kriminalität) gebildet, um die Zuhältervereinigungen in Hamburg zu zerschlagen. Einer, der diese Zeit als Zivilfahnder live miterlebt hat, ist Waldemar Paulsen (76). Spitzname: „Rotfuchs“, wegen seiner roten Haare. Im Interview mit MOIN.DE erinnert sich der ehemalige Hauptkommissar der Davidwache.

Wie haben Sie die „GMBH“ in Erinnerung?

Benannt wurde das Zuhälterkartell „GMBH“ nach den Vornamen der vier Alphatiere: Gerd Glissmann, Michael „Der schöne Mischa“ Luchting, Walter „Beatle“ Vogeler und Harry Voerthmann, alias „Der Hundertjährige“, weil er immer damit prahlte, dass er lange Haftstrafen hinter sich hatte.

Ihnen schlossen sich nach damaligen Polizeierkenntnissen 100 bis 120 Zuhälter an. Sie betrieben Bordelle auf St. Pauli, aber auch in Eppendorf und Blankenese. Man schrieb ihnen Straftaten zu, wie die Förderung der Prostitution, Urkundenfälschung, Betrugsdelikte und Körperverletzung. Näher kennengelernt und formiert haben sie sich in der Sportschule Nippon an der Dorotheenstraße, dem Epi-Zentrum für Luden außerhalb St. Paulis.

Dort war Schwarzgurtträger Glissmann Karate-Trainer. Alle fuhren gern auffällige Autos wie „Excalibur“-US-Importe, Rolls-Royce, verschiedene Mercedes-Modelle und Harley-Davidson-Trikes mit den langen Lenkstangen wie im Film „Easy Rider“. Damit tourten sie gern durch St. Pauli und Pöseldorf.

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Wie charakterisieren Sie die vier Hauptakteure der „GMBH“?

Gerd Glissmann, der heute noch leben soll, war früher Postbote und wohnte neben dem NDR in Lokstedt. Er war wortkarg, wurde als unbequem angesehen und wirkte nicht wie ein typischer Zuhälter, eher wie ein solider Arbeiter von nebenan. Wenn er einen Kommentar abgab, dann war das meistens nur ein Wort: ‚Richtig‘. Dabei betonte er die erste Silbe: ‚Riiiichtig‘.

Er hatte einen starren Blick. Als Kämpfer galt er technisch eher als unbegabt. Aber wenn er einen Kick ansetzte, dann erfolgte der wie ein Vorschlaghammer. Im Rotlicht war das oberste Gesetz die Muskelkraft. Jeder wusste, der sich mit dem anlegt, der verliert den Zweikampf. Das Gegenteil war Michael Luchting, „Der schöne Mischa“. Er kam aus Stuttgart, soll dort Bankangestellter gewesen sein.

Auf dem Kiez war er der Poussierer, also der Anwerber von Frauen. Ein smarter Kerl, der durch gepflegtes Äußeres, seine Maßanzüge, italienische, maßgefertigte Schuhe und seine goldene Rolex auffiel. Er hatte Stil, wusste sich zu benehmen und konnte sich sogar in der hanseatischen Gesellschaft blicken lassen. Luchting fuhr meist einen exklusiven Rolls-Royce Silver Shadow. Er hatte einen Hang zur Melancholie und erhängte sich später.

Wie war Walter „Beatle“ Vogeler drauf?

„Beatle“ kam aus Köln und hatte seinen Spitznamen wegen seiner Vokuhila-Frisur, damals voll im Trend, auf die er so stolz war. Er galt als der Mann fürs Grobe und war zuständig für „Zucht und Ordnung“. Zu seinen Aufgaben zählten das Regeln der täglichen Abläufe in den Bordellen und das Maßregeln von Frauen, wenn sie Widerrede gaben.

Wenn er ein Anliegen hatte, dann kam er höchstpersönlich in die Davidwache. Meine Kollegen waren deshalb genervt, weil er ausschließlich mit mir sprechen wollte. Es ging dann um Verstöße im Sperrgebiet oder um Festnahmen seiner „Jungs“. Dann wollte er wissen, weshalb sie verhaftet wurden und wo sie untergebracht waren.

Manchmal wollte er auch wissen, ob ein neuer „Junge“ in seinem Bordell als Wirtschafter arbeiten dürfe. Er wollte ihn quasi durch mich checken lassen. Wenn man ständig auf der Überholspur ohne Ruhephasen mit einer Neigung zum Alkohol lebt, rächt sich das. Zuletzt fuhr er Taxi und erlitt mit 69 Jahren einen Herzstillstand.


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Wodurch zeichnete sich Harry Voerthmann, alias „Der Hundertjährige“, aus? 

Voerthmanns Markenzeichen waren seine Westernstiefel, eine Ray-Ban-Wings-Sonnenbrille, eine mit Brillanten besetzte Rolex, schwarz gefärbte Haare und ein dicker, dunkler Oberlippenbart. Er fuhr Rolls-Royce-Cabrio, Ferrari 512 BWI, Lamborghini Countach, eine Corvette und eine Harley, auf die eine US-Flagge lackiert war, und die sprechen konnte.

Wenn jemand sie anfasste, dann ertönte eine tiefe Stimme: „Nimm’ die Flossen weg!“ Mit seinen Muskeln und einer Größe von 1,88 Meter war er eine echte Erscheinung. Er war der Erste der Bande, der Kontakt zu mir aufnahm. Denn er hatte ein Problem, das er mit Geld lösen konnte. Wenn ein Haftbefehl aktiv war, wusste ich, wo ich die Jungs finde. Dem wollte er zuvorkommen. Anstatt in den Bau zu wandern, konnte man als Ersatzfreiheitsstrafe hohe Geldbeträge von bis zu 5000 Mark zahlen.

Zum Beispiel beim Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung, wenn Frauen innerhalb der Sperrgebiete anschafften. Ich habe angedroht, den polizeilich Gesuchten am Wochenende zu verhaften und in die Zelle zu stecken, weil die Banken erst montags wieder öffneten. Damals gab’s keine Geldautomaten und Kreditkarten. Deshalb legte Voerthmann lieber gleich das Geld auf den Tisch, das ich bei der Amtskasse einzahlte. Zuletzt war er verarmt und soll in einem Pflegeheim gestorben sein. 

Was unterschied die Zuhälterbanden „GMBH und „Nutella“ voneinander?

Als sich die „Nutella“-Bande Ende der 70er etablierte, waren alle sehr jung, in den Zwanzigern, und eine echte Konkurrenz zur „GMBH“. Denn der Ur-Pate von St. Pauli, Wilfried „Frida“ Schulz, hatte sich inzwischen zurückgezogen und betrieb nur noch das „Cherie“ am Steindamm. Von Bande zu Bande gab es keinen offenen Schlagabtausch, aber einzelne untereinander hatten manchmal Stress.

Die „Nutellas“ hatten einen ganz anderen Stil. Sie sahen lässiger aus und kamen sympathischer rüber als die prolligen „GMBHs“ mit ihren äußerst gewaltbereiten Leuten. Es gab dann auch Überläufer von der „GMBH“ zu „Nutella“, was die „GMBH“ schwächte. Was die Qualität der Straftaten anbelangte, so waren die Mitglieder der „GMBH“ hochkarätiger und mussten langjährigere Haftstrafen verbüßen.