Beim „Tag der Seenotretter“ gibt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) einen Blick hinter die Kulissen der Stationen an Ost- und Nordsee – dieses Mal wegen Corona aber nur im Internet. Einer, der den Job seit Jahren macht, ist Heiko Erdwiens (36). Er ist Seenotretter auf dem Kreuzer „Eugen“, der auf der ostfriesischen Insel Norderney stationiert ist.
Ein tragischer Einsatz, der bereits 15 Jahre zurückliegt, geht dem Seenotretter auf Norderney nicht aus dem Kopf. Er vergisst ihn nie. Im Gespräch erinnert er sich daran.
Norderney: „Wir mussten raus, es war sehr dunkel, hoher Seegang“
Heiko Erdwiens ist seit 2006 auf Norderney dritter Vormann (Kapitän) auf dem Seenotrettungskreuzer „Eugen“. Zuvor war er fünf Jahre als Freiwilliger auf der Station Borkum im Einsatz. Der Borkumer lebt inzwischen wieder auf seiner Heimatinsel. Zwischenzeitlich hat er zehn Jahre auf dem Festland gewohnt.
Sie sind seit 15 Jahren festangestellter Seenotretter auf Norderney. Welcher Einsatz ist Ihnen besonders nachdrücklich in Erinnerung geblieben?
Heiko Erdwiens: Das war das Unglück der „Hoheweg“ 2006. Der Fischkutter war vom Radar verschwunden. Wir mussten raus, es war sehr dunkel, hoher Seegang. Wir haben nach den Seeleuten in der Brandung gesucht. Plötzlich fuhren wir in ein Feld von schwimmenden Fischkisten. Das war gespenstisch. Man hatte immer wieder Hoffnung, noch eine Person zu finden. Aber der Kapitän wurde nie gefunden, die anderen drei Seeleute wurden später tot gefunden.
Wie verkraftet man so einen Einsatz?
Wir haben in der Besatzung darüber geredet. Das ist bei uns wie bei der Feuerwehr nach dramatischen Einsätzen.
Wieso sind Sie Seenotretter geworden?
Ich war schon als Jugendlicher als Freiwilliger bei den Seenotrettern. Ich komme von der Insel Borkum. Auf dem Festland geht man als Jugendlicher zur Freiwilligen Feuerwehr, bei uns geht man zu den Seenotrettern. Mein Onkel war schon festangestellter Seenotretter auf Borkum.
Und wie sind Sie dann festangestellter Seenotretter geworden?
Ich habe Klempner gelernt. Aber auf der Insel müssen im Sommer viele Handwerker stempeln gehen. Die Insulaner vermieten dann alle, keiner will Handwerker im Haus haben. 2006 wurde bei den Norderneyer Kollegen eine Stelle frei. Da habe ich zugesagt. Ich habe Lehrgänge in Schiffssicherung und Brandbekämpfung gemacht. Den Funkschein und den Sportbootführerschein hatte ich schon, das hat praktisch jeder auf der Insel. Ich bin dann noch zur Seefahrtsschule in Cuxhaven und habe mein nautisches Patent gemacht. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen, wer kann das schon.
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Das ist Norderney:
- Norderney ist eine der Ostfriesischen Inseln und liegt in der Nordsee
- Norderney ist nach Borkum die zweitgrößte Insel dieser Inselgruppe
- Norderney hat eine Fläche von 26,29 Quadratkilometern
- Norderney ist eine Düneninsel, die mit der Zeit aus von der Meeresströmung angespültem Sand gewachsen ist
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Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?
Wir haben immer 14 Tage Dienst und 14 Tage frei. Auf dem Seenotrettungskreuzer „Eugen“ sind wir immer zu dritt. Bis vor drei Jahren haben wir auf einem Wohnschiff geschlafen, jetzt haben wir ein Gebäude an Land. Jeder hat sein eigenes Zimmer, am Bett sind Telefon und Funkgerät, sodass man Seenotfälle gleich mitbekommt. Wenn kein Einsatz ist, geht es um 7.30 Uhr mit dem Frühstück los, da besprechen wir die Arbeit, die ansteht. Zwei bis drei Mal pro Woche fahren wir zu Kontrollfahrten ins Revier.
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Ein Kollege kümmert sich ums Mittagessen. Das gibt es um Punkt 12 – wenn nicht, ist was los! Ein Großteil der Besatzung legt sich dann noch mal hin, um fit zu sein, falls man nachts los muss. Um 15 Uhr gibt es eine Teezeremonie, wie es sich für Ostfriesland gehört. Danach machen wir weiter mit Wartungsarbeiten, Übungen oder Kontrollfahrten. Der Abend steht jedem frei zur Verfügung. Der eine geht joggen, der andere in den Fitnessraum.
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Das sind die Seenotretter:
- Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ist die deutsche nichtstaatliche Seenotrettungsorganisation.
- Sie ist für den Such- und Rettungsdienst bei Seenotfällen im deutschen Teil der Nord- und Ostsee zuständig.
- Für diese Aufgabe werden 59 Rettungsboote unterschiedlicher Größe auf 55 Stationen eingesetzt.
- Einsatzzentrale für alle Maßnahmen in der Bundesrepublik ist die Seenotleitung Bremen.
- Die Gesellschaft wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kiel gegründet.
- Die DGzRS erhält keine staatlichen Gelder und deckt den größten Teil ihrer Kosten durch freiwillige Zuwendungen.
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Ist der Sommer für Sie arbeitsintensiver oder der Winter?
Im Sommer ist definitiv mehr zu tun, weil dann die Sportboote unterwegs sind. Aber insgesamt müssen wir nicht mehr so häufig raus wie noch vor 15 Jahren. Das liegt an der Technik, das macht den Wassersport sicherer. Heute kriegt jeder den aktuellen Wetterbericht und elektronische Seekarten aufs Smartphone. Per GPS sehen sie genau ihren Kurs und ihre Geschwindigkeit. Das vereinfacht das Navigieren. Im Winter machen wir auch viele Krankentransporte von den Inseln aufs Festland, wenn die Hubschrauber nicht fliegen können.
Bei Ihren Einsätzen sind im Winter fünf bis sieben Meter hohe Wellen keine Seltenheit. Werden Sie eigentlich noch seekrank?
Das ist tagesformabhängig. Mal hat man es, mal nicht. Man merkt es aber erst, wenn es zu spät ist. Aber es ist noch nie vorgekommen, dass ich deshalb meinen Job nicht machen konnte. Wenn man gebraucht wird, ist man sofort wieder da.
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Die DGzRS rückte zwischen Borkum und Usedom im vorigen Jahr 1.720 Mal aus und half dabei rund 3.500 Menschen. Neben Fischereifahrzeugen und ihren Besatzungen kamen sie auch Windparkversorgern, Seeleuten von Handelsschiffen sowie Wassersportlern oder Passagieren von Fähren zu Hilfe. (dpa/kbm)