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Wehrpflicht: Nur Männer an die Waffe? Jetzt bloß kein Schnellschuss, Herr Pistorius!

Verteidigungsminister Pistorius will die Wehrpflicht zurück. Er hat vor allem Männer im Visier. Zu diesem Schnellschuss darf es nicht kommen.

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u00a9 IMAGO/Panama Pictures

So soll die Bundeswehr der Zukunft aussehen

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat seine Pläne für eine Umstrukturierung der Bundeswehr vorgestellt. In Zukunft wird es demnach nur noch ein zentrales operatives Führungskommando geben. Zusätzlich zu Heer, Luftwaffe und Marine ist eine neue Teilstreitkraft geplant, die den Cyber- und Informationsraum abdeckt.

Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Zum einen galt ein Krieg in Europa damals als höchst unwahrscheinlich. Zum anderen wurde eh nur noch ein kleiner Teil der als „wehrfähig“ eingestuften Männer tatsächlich eingezogen, sodass man glaubte, mit einer Freiwilligen-Armee auszukommen. Mit dem von Russland angezettelten Ukraine-Krieg hat sich diese Lage grundlegend verändert.

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Die Bundeswehr muss sich dafür rüsten, Europa beziehungsweise die NATO an ihren Außengrenzen – oder im schlimmsten Fall das Bundesgebiet – verteidigen zu müssen. Nicht nur technisch, sondern auch personell wären wir dazu heute nicht in der Lage. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plant daher die Rückkehr zur Wehrpflicht – und hat dabei in erster Linie die Männer im Visier. Doch zu einem solchen Schnellschuss darf es nicht kommen. Ein Kommentar.

Wehrpflicht: Pistorius hat vor allem Männer im Visier

Ich selbst – Jahrgang 1978 – kenne die Wehrpflicht aus eigener Erfahrung. Während meine Mit-Abiturientinnen Ende der 1990er-Jahre einen frühen Einstieg ins Studium oder „Work & Travel“ in Australien planten, trieb die Männer die Wehrpflicht um. Die Musterung (medizinische Untersuchung) im Kreiswehrersatzamt, dann das Warten auf den Bescheid (ich wurde T2 gemustert, also „verwendungsfähig mit Einschränkungen“)… Parallel habe ich Ratgeber gewälzt und ein intensives Gespräch in einer kirchlichen Beratungsstelle geführt, um in meinem Kriegsdienst-Verweigerungsschreiben die richtigen Formulierungen zu wählen und mögliche Fangfragen angemessen beantworten zu können. Es war für mich eine von Sorgen und Ungewissheit geprägte Lebensphase.

+++ Nach Wehrpflicht-Forderung für Frauen: „Meine Tochter wird ganz sicher keine Wehrpflicht absolvieren“ +++

Meine Verweigerung hatte Erfolg. Ich leistete Zivildienst im Rettungsdienst bei einer Feuerwehr im Ruhrgebiet, wurde zum Rettungssanitäter ausgebildet, habe später noch haupt- und ehrenamtlich jahrelang bei Hilfsorganisationen gearbeitet. Diese Zeit hat mich und meine Persönlichkeit nachhaltig geprägt. Nach dem Abitur stand ich schlagartig mitten im Leben, musste viel lernen und mich in klare Strukturen einfügen, hatte große Verantwortung, war Teil eines Teams. Eine wertvolle, prägende Zeit, die ich nicht missen möchte. Jedem jungen Menschen – egal ob Mann oder Frau – wünsche ich eine ähnliche Erfahrung.

Dienstpflicht für alle – sozial, ökologisch oder in der Bundeswehr

Was ich jungen Menschen ausdrücklich nicht wünsche, ist die Pflicht, an der Waffe zu dienen – oder sich in einem intransparenten, bisweilen beklemmenden Verfahren aktiv dieser Pflicht verweigern zu müssen. Doch genau darauf zielen die aktuellen Wehrpflicht-Pläne von Boris Pistorius ab. Zwar will er alle jungen Menschen – Frauen und Männer – anschreiben und zu ihrer Wehrbereitschaft befragen. Doch nur Männer sollen verpflichtet sein zu antworten. Frauen können sich dem Verfahren also schon an dieser Stelle entziehen. Das hat mit der heute überall und ständig propagierten Gleichberechtigung nichts zu tun.

Hier muss zunächst einmal das Grundgesetz, das eine Wehrpflicht nur für Männer vorschreibt, geändert werden. Mehr noch. Pistorius schwebt vor, schon 2025 die ersten Männer zum Wehrdienst einzuziehen – und die Wehrpflicht erst später, nach einer Übergangszeit, in eine allgemeine Dienstpflicht einzugliedern. Zwar ist der Wunsch nachvollziehbar, die Bundeswehr möglichst schnell personell aufzustocken. Dennoch darf es hier keinen Schnellschuss geben, der obendrein militärisch geprägt wäre.


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Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, jetzt sofort die Weichen zu stellen für eine allgemeine Dienstpflicht. Ohne reine Wehrpflicht als Zwischenlösung. So könnte das aussehen: Alle jungen Männer und Frauen werden jährlich angeschrieben. Sie dürfen sich dann frei entscheiden, ob sie Wehrdienst oder einen verpflichtenden alternativen Dienst zum Beispiel im sozialen oder ökologischen Bereich absolvieren möchten. Davon profitieren alle: die Bundeswehr, die Gesellschaft im Ganzen und ausdrücklich auch die jungen Menschen selbst. Egal wie sie sich entscheiden: Sie werden in ihrer Selbstständigkeit, ihrer Persönlichkeitsentwicklung und in ihrem Verantwortungsbewusstsein einen großen Schritt nach vorn machen.